Samstagmorgen in Dortmund 🌞

Sascha: „Das ist aber eine schöne Shiva Figur!“
Rosa: „Das ist aber nicht Shiva. Das ist Nataraja.“
Sascha: „Steht doch so auf dem Preisschild: Shiva“
Rosa: „Ich bin mir aber relativ sicher. Das ist nicht Shiva!“

Das könnte jetzt ewig so weitergehen, hätten wir nicht unsere tollen Bücher in der Yogabude.
Also ganz nach dem Motto:

Du hast Recht und ich meine Ruhe, tanzen wir ins WE
💃🏻 💃🏻 💃🏻

Textauszug aus „Der Stammbaum des Yoga“ von Mathias Tietke

Der bereits zu Beginn des Kapitels im Kontext von Yoga und Tanz erwähnte Bezug auf Shiva als Nataraja, „König des Tanzes“, findet sich — natürlich! möchte man bei diesem Namen fast sagen — auch bei Shiva Rea. Sie schreibt: „Das ganze Zusammentreffen von Yoga und Tanz hat tiefe Wurzeln innerhalb des Yoga selbst wie auch quer durch alle Kulturen. Innerhalb des Yogas sind alle unterschiedlichen Energien des Einen, der Göttinnen und Götter als tanzend dargestellt, und das Universum wird als der kosmische Tanz des Shiva Nataraja betrachtet.“

Shiva als Nataraja steht in der Tanzkunst über allen Göttern; er ist Meister der 108 Tanzformen. Wie in den heiligen Schriften beschrieben, sind neun der Tanzarten des Nataraja wirklich berühmt.

Doch um das Konzept des Nataraja zu verstehen, müssen wir die Idee und das Konzept des Tanzes verstehen. Nieten Kumar führt dazu Folgendes aus: „Genau wie Yoga bewegt Tanz etwas, er vermag Trance, Ekstase und die Erfahrung des Göttlichen herbeizuführen. Konsequenterweise blühte der Tanz in Indien Seite an Seite mit der Nüchternheit und der Enthaltsamkeit der Meditationsrefugien (wozu Fasten und komplett introvertiertes Verhalten gehörten). Von daher ist Shiva, der Erzyogi der Götter, auch der Meister des Tanzes.“

Die ersten Darstellungen des Shiva als Nataraja sind Bronzeskulpturen aus Südindien, die auf das 10. bis 12. Jahrhundert datiert werden. In diesen Skulpturen stützt sich sein rechter Fuß auf eine sich bückende Figur, während sein linker Fuß angehoben ist. Eine Kobra gleitet von seinem rechten Unterarm, und auf seinem Scheitel befinden sich ein Halbmond und ein Schädel. Er tanzt innerhalb eines Bogens aus Flammen; es ist ein Tanz, der Ananda Tandava genannt wird — der Tanz der Glückseligkeit.

Das Nataraja-Bildnis zeigt Shiva mit vier Händen und zwei Beinen in Tanzposition stehend. Er hält eine Trommel (damaru) in der oberen rechten Hand und Feuer in seiner linken. Die untere rechte Hand befindet sich in der Stellung des Abhaya-Mudra (schutzgebende Geste und Zeichen von Furchtlosigkeit). Die linke Hand weist auf den erhobenen linken Fuß. Sein Fuß steht auf dem Dämon Apasmara. In der Regel wird diese bildliche Darstellung von einem Feuerkreis umgeben. Shiva tanzt jeden Abend, um die Leiden der Lebewesen zu lindern und um die Götter zu unterhalten, die sich am Kailash-Berg einfinden.

Shivas tanz symbolisiert einen unaufhörlichen Prozess von Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung. Die Trommel repräsentiert den Schöpfungston, und das Feuer (pralayagni) versinnbildlicht die Flammen, die am Ende eines Wellenzyklus (kalpa) die manifeste Welt zerstören, und so ist ein weiterer Name für Shiva Pralayakara, das heißt: Auflösung verursachend.

Natarajas dritte und vierte Hand, die Segen, Wohltaten und Schutz gewähren, wenden sich an die Anhänger und ermuntern sie, Schutz zu den Füßen des Herrn zu suchen. Wer sich vollständig überantwortet, hat nichts zu befürchten. Der Dämon, auf dem Shiva steht, symbolisiert die Unwissenheit, die uns unser Gleichgewicht und unsere Bewusstheit verlieren lässt. Shivas Tanz führt uns zu einem Himmel der Seligkeit, in dem sich das Ego auflöst und wir Frieden finden. In seinem Tandava-Tanz zerstört Shiva den Dämon der Unwissenheit zum Wohl der Anhänger, die sich ihm ganz hingeben.
In jedem Herzen tanzt er.

Shivas Tanz repräsentiert den Herzschlag. Er wird auch Chidambaresh genannt, was so viel wie „Herr am Firmament des Bewusstseins“ bedeutet.

In Der Weg des Yoga – Handbuch für Übende und Lehrende wird am Ende des Abschnitts „Gleichgewichtshaltungen am Beispiel von Shivas Tanz“ der Ideologe Heinrich Zimmer zitiert:

„Wie Yoga führt der Tanz einen Trancezustand herbei: Ekstase, Erleben des Göttlichen, Realisierung der eigenen verborgenen Natur und endlich Verschmelzung mit dem göttlichen Sein …
Tanzen ist ein schöpferischer Akt. Es schafft eine neue Situation und zitiert in den Tänzer eine neue und höhere Persönlichkeit hinein … Auf universeller Skala ist Shiva der kosmische Tänzer. In seiner tanzenden Offenbarung versammelt er die ewige Energie in sich und bringt sie zugleich zur Manifestation. “
Es ist nicht nur so, dass Shiva sowohl den Tanz als auch – als Yogadakshinamurti – den Yoga repräsentiert, sondern auch die nach ihm benannte Haltung Natarajasana ist zugleich Tanz – wie auch Yogahaltung und in beiden Fällen eine Gleichgewichtsübung.
Der Zusammenhang und die gemeinsame Basis lässt sich in einem Satz zusammenfassen:

„Tanz und Meditation sind zwei unterschiedliche Wege zu Ekstase, geistiger Wiedergeburt und Vereinigung mit dem Absoluten.“